Heute ist Berlin die „Hauptstadt Deutschlands“ – ganz Deutschlands wohlgemerkt. Doch das war nicht immer so. Zur Zeit der Teilung war Berlin zwar Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, der Regierungssitz der Bundesrepublik saß allerdings in Bonn. Wie keine andere deutsche Stadt verkörpert Berlin die vierzigjährige Teilung Deutschlands. Die Autorin Christa Wolf lebte länger als die Hälfte ihres Lebens in (Ost-)Berlin.
Noch bevor Wolf zu großer schriftstellerischer Berühmtheit gelangt, zieht sie im Spätsommer 1962 „fluchtartig“ kurz nach dem Mauerbau in die Hauptstadt der DDR bzw. an deren Rand nach Kleinmachnow bei Berlin.
„Ist es selbstsüchtig, dass wir beinahe fluchtartig aus Halle weggezogen sind, die Kinder aus ihren gewohnten Umgebungen herausgerissen haben? Aber der alte Hausarzt, der immer Schwitzpackungen verordnete, hat uns gesagt: Wenn sie vermeiden wollen, dass die Bronchitis Ihrer Kinder chronisch wird, müssen Sie hier wegziehen. Weg aus Chemie- und Nebelgebiet. Hierher in die gute Luft […] von Berlin. Wo ich, das muss ich mir zugeben, mich noch genauso fremd fühle wie die Kinder.“ (Eintrag aus Ein Tag im Jahr 1962, S. 48)
Auf der Ostseite der Stadt lebt sie Jahrzehnte lang unmittelbar am Puls der deutsch-deutschen Grenze. Allein einen Grenzübergang nutzen zu müssen, um von Brandenburg nach Berlin zu kommen bzw. später an der Friedrichstraße (von 1976-1988 Wohnort der Wolfs) direkt an einer Grenze zu wohnen, wo doch die Friedrichstraße mitten in Berlin liegt, und man sich heute auch sonst in Deutschland frei bewegen kann, scheint fast unvorstellbar. Aber nur fast. Denn was ist mit Texten, in denen eben dieses (verloren gegangene?) Berlin der DDR-Zeit geschildert wird?
Zuerst gilt es zu fragen, wie in den Texten welche Orte in Berlin behandelt werden. Zweitens muss man vergleichend zwischen Prosa und Tagebuch hin und her springen, anschließend Synthesen ziehen. Drittens: Gibt es Fotos, Videos, Lieder oder andere Texte anderer Autor_innen aus der Zeit, die man mit dem Erzählten abgleichen kann? Viertens: Gibt es noch Spuren der Gebäude, der Straßen, der Plätze, die Christa Wolf schriftstellerisch festhält?
Kann man im Berlin von 2016 noch nachvollziehen, wovon die Rede ist – in einer Stadt, die sich (das hört man oft) so schnell verändert, das man von „rasendem Stillstand“ spricht? Und welche Rolle spielt eine Stadt mit all ihren Facetten für eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts und ihr Werk?
Diesen Fragen sind wir im Rahmen der Christa Wolf AG Andernorts nachgegangen und haben dabei Einiges herausgefunden. Zum Beispiel, warum die Weidendammer Brücke nicht nur eine Brücke in Berlin ist. Mit unserer interaktiven Karte kannst du mit einem Klick in Christa Wolfs Berlin eintauchen. Viel Spaß beim Schauen, Lesen und Staunen!
Max Böhner, Rebecca Wegmann, Leonore Bartsch, Marina Brafa
Hier alle Orte nochmal außerhalb der Karte in alphabetischer Reihenfolge:
- Alexanderplatz
- Amalienpark 7
- Bahnhof Zoologischer Garten
- Dorotheenstädtischer Friedhof
- Förster-Funke-Allee 26 (Kleinmachnow)
- Fontanestraße (Kleinmachnow)
- Friedrichstadt-Palast
- Friedrichstraße (allgemein)
- Friedrichstraße 133
- Gästehaus des ZK
- Ganymed Brasserie
- Haus am Werderschen Markt
- Intershop an der Friedrichstraße
- Kaufhalle an der Lenin-Allee
- Kurfürstendamm
- Literaturwerkstatt am Majakowskiring
- Pergamonmuseum
- Robert-Koch-Platz / Akademie der Künste
- Rotes Rathaus
- Unter den Linden
- Volkspark Friedrichshain
- Weidendammer Brücke