Haus am Werderschen Markt

Berlin, Gebäude des ZK der SED

Gebäude des ZK der SED. Bundesarchiv, Bild 183-FO427-202-001 / Koard, Peter / CC-BY-SA 3.0

Das Haus am Werderschen Markt wurde im Laufe der Berliner Stadtgeschichte zu sehr unterschiedlichen Zwecken genutzt: Von seinen Anfängen als Gebäude der Reichsbank in der Weimarer Republik über den Zentralen Sitz des Zentralkomitees der SED in der DDR bis zur heutigen Nutzung als Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland.

Das Haus der Parlamentarier

Nach der Staatsgründung der DDR 1949 diente das Haus zunächst als Finanzministerium. Zehn Jahre später zog dann das Zentralkomitee der SED in das Gebäude. So bekam es schnell den Namen „Haus der Parlamentarier“.

In diesem Zusammenhang bekam dieser Ort auch eine spezielle Bedeutung für die Schriftstellerin Christa Wolf. Im Jahr 1965 war das Gebäude Ort des sogenannten »Kahlschlag-Plenum«, des XI. Plenums des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Einheitspartei SED. Damit wurde es Schauplatz eines der aufwühlendsten Erlebnisse ihres politischen Lebens. Christa Wolf, seit langem Parteimitglied der SED und politisch engagierte Schriftstellerin, wurde zu diesem Plenum als Kandidatin für das ZK der SED von einem Kafka-Symposium in Prag per Telegramm zurück beordert. Als aufstrebende Autorin hatte Christa Wolf ein Jahr zuvor von Walter Ulbricht persönlich den DDR-Nationalpreis für ihr politisches Engagement verliehen bekommen und wurde als Staatsschriftstellerin gefeiert. Die drei Plenumstage vom 15. bis zum 18. Dezember spielten für das weitere Leben der Schriftstellerin eine entscheidende Rolle.

Das »Kahlschlag-Plenum«

Vorab dieser ZK-Tagung kam Hans Koch, damaliger I. Sekretär des Schriftsteller Verbandes der DDR, auf sie zu und sprach von der anstehenden „Schlachtung“. Von einer „Schlachtung“ kann im Kontext des XI. ZK-Plenums vor allem aufgrund seiner starken kulturpolitischen Repressionen und Zäsuren gesprochen werden. Die folgenden Tage gingen nicht umsonst als „Kahlschlag-Plenum“ in die Geschichte ein.

Als Kandidatin für das ZK der SED war Christa Wolf alle drei Tage an den Sitzungen anwesend und erlebte aus unmittelbarer Nähe mit, wie sich das ursprünglich als Wirtschaftsplenum geplante Zusammenkommen zu einem „Kahlschlag“ gegen die Kultur entwickelte. Den Kreativen begegneten die Vorwürfe des „Nihilismus“ und „Skeptizismus“, infolgedessen zahlreiche Filme, Theaterstücke und Bücher verboten wurden. Der Kontrollverlust der Partei gegenüber den rebellierenden Heranwachsenden in der DDR wurde auf die „schlechten“ Einflüsse der Kultur zurückgeführt. Sie wurden als „Sündenbock“ für die bestehenden gesellschaftlichen Probleme deklariert.

„Das 11. Plenum ist also nicht plötzlich und aus heiterem Himmel als Kulturplenum auf die Tagesordnung gesetzt worden. […] Aber man hat vorbeugend jegliche Verbindung zwischen den verschiedenen Strömungen in der Gesellschaft – denen, die in der Wirtschaft auf Veränderung drängten, und denen, die in der Kunst auf realistische Darstellung drängten -, nur ja rechtzeitig zerschlagen und einen Sündenbock finden wollen, um die wirklichen Probleme nicht diskutieren zu müssen, sie aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu drängen. Das war nach meiner Meinung der Hauptsinn der Inszenierung.“ (Christa Wolf: Rummelplatz 11. Plenum 1965. S. 65.)

So schreibt Christa Wolf kurz nach der Wende im Jahr 1991 über die Ereignisse am Jahresende 1965. In ihrem Erinnerungsbericht schreibt sie über ihre geplatzte Hoffnung und das Scheitern von kritischer Kunst in der DDR. Für sie war es wichtig, Probleme offen anzusprechen. Nur eine öffentliche Debatte würde zu einer Lösung der währenden Schwierigkeiten der DDR führen. Dass eine öffentliche Diskussion über bestehende Probleme gar nicht möglich war – auch für sie als privilegierte Autorin -, musste Wolf spätestens auf diesem Plenum feststellen.

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Blick vom Protokollhof auf den Neu- und Altbau, 2007.

Ihr Einspruch

Christa Wolf war die Einzige, die sich trotz „große[r] Angst“ (aus: Ein Tag im Jahr) am dritten Tag ans Rednerpult wagte, dem „Kahlschlag“ widersprach und für die „freie“ Kunst eintrat. „Ich wusste, dass ich nicht mehr schreiben könnte, wenn ich hier schweigen würde. Die moralische Berechtigung, Schriftstellerin zu sein, wäre mir abgeschnitten.“ (Christa Wolf: Rede, daß ich dich sehe. Berlin 2012. S.114). Nur mit ein paar spärlich vorbereiteten, stichpunktartigen Notizen bewaffnet erhob sie sich als Verteidigerin der Kunst:

„Ich will nur noch folgendes sagen, […] daß Kunst nicht möglich ist ohne Wagnis, das heißt, daß die Kunst auch Fragen aufwirft und aufwerfen muß, die neu sind, die der Künstler zu sehen glaubt, auch solche, für die er noch nicht die Lösung sieht […] daß die Kunst sowieso von Sonderfällen ausgeht und daß Kunst nach wie vor nicht darauf verzichten kann, subjektiv zu sein […].“ (Diskussionsbeitrag zum 11. Plenum, Dezember 1965)

Unter dauernden Zurufen von Margot Honecker, Alexander Abusch, Otto Gotsche und anderen Genossen versuchte sie den anwesenden Parteifunktionären begreiflich zu machen, dass es sich bei Kunst und Kultur, ob Film oder Literatur, um eine sensiblere Tätigkeit handle. Mit großem Mut verteidigte Christa Wolf „…als [tapfere] Protestantin, die es »mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren« wenn [ihr eine] »antisozialistische Haltung« vorgeworfen werde.“(Jörg Magenau: Christa Wolf. Eine Biographie. Hamburg 2013. S.187), nicht nur sich sondern alle Künstler der DDR.

Nach dieser aufwühlenden Rede verließ Christa Wolf den Saal und versuchte sich im Foyer zu beruhigen. In diesem Moment trat die Schriftstellerin Anna Seghers auf sie zu und schlug ihr einen Besuch im Vorderasiatischen Museum vor. Christa Wolf, von diesem Vorschlag überhaupt nicht angetan, begleitete die von ihr bewunderte Kollegin trotzdem über die breite Straße in Richtung Museumsinsel.

An diesem Tag, an dem ihr mutiger Einspruch nicht erhört wurde, konnten weder die Kollegin noch die Berliner Museumsinsel die Schriftstellerin Christa Wolf von der Entrüstung und Enttäuschung der repressiven SED-Kulturpolitik befreien, aber zumindest ablenken.

Der Einbruch

Die Aufregungen dieser Tage waren für die Schriftstellerin tiefgreifend und einschneidend gewesen. In Konsequenz des Plenums wurde Christa Wolf von der Kandidatenliste des ZK der SED gestrichen. Ihr Staats- und Parteibild der DDR war gebrochen. Sie begann zu zweifeln. Christa Wolf war sich nun nicht mehr sicher, ob sie in einem Land, wo Kunst und Kultur auf eine solche Weise zurückgedrängt und unterdrückt wurden, weiterleben könne. Dieser Zweifel zeigt sich auch in ihrem weiteren Schreiben. Ein Jahr später begann sie mit den Arbeiten zu Nachdenken über Christa T.

Auswärtiges Amt Berlin, Eingang vom Werderschen Markt. CC 2.0

Auswärtiges Amt Berlin, Eingang vom Werderschen Markt. CC 2.0

 Das Haus und die Schriftstellerin

Wenn man heute am Auswärtigen Amt an der Spree vorbeiläuft, erinnert uns nichts an diese harten kulturpolitischen Repressionen der 60er Jahre. Für die Schriftstellerin Christa Wolf jedoch wird das Haus am Werderschen Markt immer ein Ort der Zurückdrängung und des beginnenden Zweifels gewesen sein.

Quellen:

  • »Jetzt musst du sprechen«. In: Christa Wolf. Rede, daß ich dich sehe. Essays, Reden und Gespräche. Berlin 2012, S.110 – 116.
  • Rummelplatz 11. Plenum 1965-Erinnerungsbericht. In: Christa Wolf: Auf dem Weg nach Tabou. Texte 1990-1994. Köln 1994, S. 58-70.
  • Jörg Magenau: Christa Wolf. Eine Biographie. Hamburg 2013.