Amalienpark 7

Der Wohnort Christa und Gerhard Wolfs ist von 1988 bis zu ihrem Tod Pankow. Das Viertel im Norden der Stadt, das für Westdeutsche gleichzusetzen war mit der Führungs-Elite der DDR, ist für die Schriftstellerin zum letzten Wohn- und Arbeitsort geworden. In den Protokollen aus „Ein Tag im Jahr“ wird ihr Wohnort vermehrt von innen, aus der Wohnung heraus geschildert, was sich durch die etlichen Operationen und gesundheitlichen Einschränkungen erklärt: „Gehe los, mit Stock – anders kann ich gar nicht mehr laufen, und auch so fällt es mir schwer, sogar das kleine Stück bis zur Kavalierstraße. Ich hadere mit dieser Behinderung, mit diesen Schmerzen[…]“.

Teil der denkmalgeschützten Wohnhäuser Amalienpark 1-8. CC 3.0.

Teil der denkmalgeschützten Wohnhäuser Amalienpark 1-8. CC 3.0.

Ihr Mann erledigt großteils die Einkäufe, sie besucht eine Heilerin. Recht viel mehr Wege oder gar genaue Schilderungen Pankows sucht man von 1988 bis 2011, dem letzten „Tag im Jahr“, vergeblich. Die Einträge lassen nur wenige Straßen erkennen, vage Vermutungen darüber zu, in welchen Straßen, in welchen Geschäften, Restaurants usw. Christa Wolf mehr als 20 Jahre lang verkehrte.
Vor allem die letzten Jahre lesen sich wie eine Innensicht der Wohnung, kaum werden Ausflüge oder Besorgungen außerhalb erwähnt. Was man als durchgehendes Muster erkennen kann, sind Themen wie das Alter, Krankheiten, das Schreiben im Alter. Die Wohnung kann man beim Lesen als Rückzugsort und Alterswohnsitz der Schriftstellerin deuten, wo das meiste in Gedanken und weniger zu Fuß passierte. Die Wege verkleinern sich und gehen weg von großen Schilderungen zu kleinen Alltagswegen: von einem Zimmer ins andere.

Die Topografie der letzten Wohnung und deren Umgebung verliert im Alter bei Christa Wolf an Bedeutung. Es erscheint, auch, weil die Autorin während der letzten Jahre vor allen Dingen an „Stadt der Engel“ arbeitete, das auf topologischer und topografischer Ebene betrachtet, höchst spannend und vielseitig ist, als habe sich die topografische Beobachtung in eine rückgewandte verwandelt: Weg vom Jetzt in die topografische, topologische Rekonstruktion nicht nur ihres Aufenthalts in L.A., dem Trip durch die Wüste, sondern auch ihrer gesamten Vergangenheit, mit der sich Christa Wolf in ihrem letzten großen Text auseinandersetzt.

Quelle:

  • Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert, S. 80.