Nach dem 11. Plenum des ZK am 15.12.1965, das als „Kahlschlag-Plenum“ in die Geschichte eingehen sollte, versucht Anna Seghers, die Schriftsteller-Freundin Wolfs, sie durch einen Abstecher ins Vorderasiatische Museum, das Teil des Pergamonmuseums ist, abzulenken.
„Anna Seghers saß draußen im Foyer und las Zeitung, sie ließ mich herausrufen, so daß ich nur die Hälfte der Polemik mitkriegte. […] Dann bestand sie darauf, in der Mittagspause mit mir ins Vorderasiatische Museum zu gehen. […] Sie rannte durch den ersten Raum. […] Sie fuhr in der Luft mit der Hand die Hinterpartien einer der wirklich sehr schönen hermaphroditischen Götterstatuen nach […].“
Christa Wolf beschreibt hier nicht genau den (äußerst eindrucksvollen) Bau von außen, geschweige denn die ausgestellten Objekte. Vielmehr scheint es ihr um etwas Freundschaftlich-Emotionales zu gehen, was sie mit dem Gang ins Museum verbindet. Allgemeiner gesehen könnte man überlegen, warum sie ausgerechnet ins Vorderasiatische Museum mit seiner bis zu acht Jahrtausende alten Kunst gehen. War das Motto: Weg von den Krisen um die derzeitige Kunst, hin zum Immer-Währenden, dem Alten, dem Stabilen, das allen erdenklichen Kriegen und Krisen getrotzt hatte? Die Autorinnen scheinen beide eine Vergewisserung durch die jahrtausendelangen Überlieferungen kultureller Artefakte zu erhalten.
Quelle:
- Christa Wolf: Ein Tag im Jahr. Frankfurt a.M. 2008.