„Über die Weidendammer Brücke ging ich immer wieder gerne“
Mehrmals erscheint die Weidendammer Brücke (in der jetzigen Gestalt 1896 erbaut), die die Friedrichstraße über die Spree führt, in den Texten Christa Wolfs. Einerseits in „Ein Tag im Jahr“, wo die Enkelin mehrmals stehen bleibt und ihre Großmutter auf kleine Sonnen an der Brücke hinweist. In der Erzählung „Leibhaftig“ (2002) trifft die Ich-Erzählerin in einem traumähnlichen Zustand mit einer imaginären Freundin auf der Weidendammer Brücke auf ein Paar, das am Preußischen Adler stehen bleibt und in die Spree blickt. Die Erzählerin ist unsichtbare Beobachterin und schildert den Lesenden ihre Traum-/Zwischenzustandserfahrung von zwei Leuten, die, so ihre Vermutung, über den naheliegenden „Tränenpalast“ flüchten wollen.
Eine Brücke: Eine Verbindung. Hier die Verbindung zweier Systeme, zweier Staaten, fast könnte man sagen: zweier Welten, die für Christa Wolf in Leben und Werk wohl die entscheidende Rolle spielten, im Schwebezustand auf der Suche nach einem Dritten.
Wolf Biermann singt in seiner „Ballade vom preußischen Ikarus“, dem Adler an der Weidendammer Brücke, davon, wie sich das lyrische Ich auf der Grenze bewegt, an den Adler klammert und schließlich von ihm gekrallt wird, mit ihm verschmilzt und zum Adler selbst wird, der abstürzt. Auch die Weggang aus der DDR spielt eine tragende Rolle in dem Lied von 1976. Hier lassen sich einige Gemeinsamkeiten finden: Auch Christa Wolf beschreibt die Berührung des Adlers und den wehenden Wind auf der Brücke in „Was bleibt“. Genau das kann man heute noch tun, meist auch bei sehr starkem Spree-Wind.
Quellen:
- Christa Wolf: Ein Tag im Jahr. Frankfurt a.M. 2008.
- Christa Wolf: Leibhaftig. München 2002.
- Christa Wolf: Was bleibt. Berlin und Weimar 1990.